[COVER] praktiker 10 / 2001
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COMPUTER & FOTOTECHNIK / SERIE

[COVER] E-Book: Digital im Bild - LeseprobeSerienstart in Heft Nr. 10/2001 - Der hier vorgestellte Inhalt ist ein Teil des ersten Abschnitts "Essentielles zur Fotografie" der Serie. - Fortsetzungen folgen auf dieser Website nicht. Der Text dient dazu, Ihnen einen Eindruck vom Inhalt dieser Serie zu vermitteln.

"Digital im Bild" wurde später auch als E-Book erhältlich von dem es eine kostenlose Leseprobe gibt, die das komplette erste Kapitel "Essentielles zur Fotografie" enthält:

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SERIE: Digital im Bild

Der richtige Umgang mit der Digitalkamera ist die Kombination von handwerklicher und kreativer Fähigkeit. Dazu gehört ein reicher Schatz an Erfahrung und Wissen. Wie überall, werden aber hierbei besonders viele Schmähs erzählt, die immer wiederholt werden und oft auch ganz großartig klingen. Das Eigentliche ist aber - wie der Praktiker aus eigener Erfahrung aus vielerlei Betätigungsfeldern weiß - an seiner Oberfläche oft ganz unspektakulär. Der interessierte Praktiker möge die in dieser Serie gegebenen Einsichten zur - hoffentlich massiven - Steigerung der Aussagekraft seiner Digitalbilder nutzen. - Von Felix Wessely


Vorbemerkungen

Technik soll das Leben erleichtern. Technik soll zusätzliche Möglichkeiten für den Einzelnen eröffnen. Der Witz der Technik ist also nicht allein das Wissen um ihre Funktion, sondern ihr Einsatz. Erst der versierte Umgang bringt den Spaß damit bzw. einen wirklichen Vorteil. Die Geräte an sich sind - wenngleich auch hochinteressant als solches - Werkzeuge. Eines dieser Werkzeuge, die erst in der Hand eines Könners wertvoll werden, ist der Fotoapparat. Der richtige Umgang damit ist die Kombination von handwerklicher und kreativer Fähigkeit.

Dazu gehört Erfahrung und Wissen. Wissen, worum es geht, was im Bild welche Wirkung hat und wie richtig mit dem Gerät umgegangen wird. Wie überall, werden auch hierüber besonders viele Schmähs erzählt, die immer wiederholt werden und oft auch ganz großartig klingen.

Das Eigentliche ist aber - wie der Praktiker aus eigener Erfahrung aus vielerlei Betätigungsfeldern weiß - oft ganz unspektakulär.

Wie auch sonst im »ITM praktiker« sollen Sie hier die Basis in die Hand bekommen, die es Ihnen ermöglichen soll sozusagen im Saatgut zu wühlen um daraus eine eigene Pflanze - nämlich Ihren persönlichen Stil - zu entwickeln. Dieser entwickelt sich mit der Zeit von selbst, wenn Sie nur versuchen sich nicht durch Vorlagen zu einem Stil verleiten zu lassen, der Ihnen bei einem anderen gefällt. Dieser ist sicherlich exzellent. Es ist aber nicht der Ihre.

Nur dann, wenn Sie einen eigenen Stil entwickeln, wenn Sie sich die Mühe machen, das Thema und seine Techniken selbständig in Ihrer Richtung durchzudenken, wird Ihnen die Sache auf Dauer Spaß machen können.

Sie werden sehen, der »eigene Stil« ergibt sich ganz krampflos von selbst. Eine der wesentlichsten Voraussetzungen dafür, dass Sie eine Fotografie machen muss sein, dass Sie das Motiv interessiert. Dass sie in gewissem Sinne eine Beziehung dazu haben. Damit haben Sie dann Ihre persönliche Sichtweise, die Sie - mit Ihrem Können im Umgang mit den Stilmitteln »lesbar« in die Bildsprache übersetzen können. Wenn Sie etwas nicht interessiert, ist es erstens schade um Ihre Zeit und können Sie zweitens nicht erwarten, dass jemand anderen etwas interessiert, was nicht einmal Sie interessiert. Und das daher auch im Bild leblos bleibt.

Ein kleines Indiz dafür, dass Sie bereits Ihre Eindrücke in ein Bild übersetzen können ist es beispielsweise, wenn Sie eine Person portraitieren und diese so erscheint, wie Sie diese zum Zeitpunkt der Aufnahme sehen. Wenn Sie also gerade grantig auf Den- oder Diejenige sind, dann wird das Portrait wenig schmeichelhaft werden. Wenn Sie der Person sehr zugeneigt sind, dann wird es das Portrait eines sympathischen Menschen werden.

Wenn Sie ehrlich in Ihrer Fotografie sind, dann kann das Ergebnis kein anderes sein. Sie können - sie sollen - immer nur Ihre Sichtweise zeigen, die Geschichte aus Ihrer Sicht erzählen. Alles andere könnte auch jeder andere machen.

Falls Sie sich mit Fotografie bislang noch nicht beschäftigt hatten, empfehle ich Ihnen, das Buch vorerst einmal zu lesen. Dann fotografieren Sie einige Wochen oder Monate lang. Danach lesen Sie es bitte nochmals. Sie werden nämlich vorerst vieles überlesen oder sich falsch gemerkt haben, weil bei fehlender Praxis die Zuordnungsmöglichkeit immer schwierig ist. Dies ist jedenfalls meine Erfahrung.

Ich lasse eines der typischen Themen aus, da ich Sie davon abhalten möchte, sich überhaupt damit zu beschäftigen. Nämlich pausenlos Ihre Kamera-Ausrüstung zu testen anstatt Fotos zu machen. Das ist lediglich frustrierend, weil die Technik niemals perfekt ist. Glauben Sie also niemandem, der Ihnen erzählen will, dass ein Objektiv absolut scharf wäre oder ein Bildsensor oder Film absolut natürliche Farben aufzeichnen würde. Viele sind deswegen ständig unzufrieden mit Ihrer Ausrüstung und testen ständig, in der Hoffung das erwartete absolut perfekte Ergebnis bestätigt zu finden. Das gibt es nicht. Schaffen Sie sich die beste Ausrüstung an, die Sie sich leisten können oder wollen, denn Werkzeug von hoher Qualität macht auch in der Fotografie mehr Freude. Dann lernen Sie, mit Ihren Geräten perfekt umzugehen und machen Sie fortan Fotos damit ohne mit der Lupe nach irgendwelchen Fehlern zu suchen, die sowieso nicht relevant sind. Und die ganz sicher immer zu finden sein werden. Ich hatte mich selbst anfangs - aufgestachelt durch einschlägige Literatur - viel zu lange mit derartigem Unfug beschäftigt.

Worum es mir in der Hauptsache geht, ist die Sichtweise der Fotografie als eine Mitteilungsform. Eine der Möglichkeiten, eine Geschichte zu erzählen. Und diese Geschichte muss in erster Linie wahr sein.

Das Basiswissen dazu ist der Umgang mit der Technik. Die nächste Voraussetzung ist die Umsetzung in die Form des Mediums Fotografie. Die allererste Voraussetzung ist aber, dass Sie »die Geschichte sehen«, dass Sie also lernen zu erkennen was wesentlich ist, was interessant ist, was der Kern der Aussage sein soll um die Geschichte zu erzählen. Und diese allererste Voraussetzung hat mit Fotografie als solcher eigentlich nicht speziell etwas zu tun.

Ein Beispiel. Angenommen, Sie wollen jemanden portraitieren. Wenn Sie das in Textform machen, dann müssen Sie erkennen können, welche typischen Aussagen der Mensch macht, was er gerne tut und wie er sich bewegt. Das müssen Sie erkennen. Die Umsetzung in Text ist dann reines Handwerk. Wenn Sie das in Form einer Fotografie machen, dann müssen Sie einen ganz besonderen Gesichtsausdruck, eine ganz typische Körperhaltung erkennen. Das Handwerk besteht dann darin, dass Sie zur richtigen Zeit auf den Auslöser drücken und vorher alle Voraussetzungen schaffen, sodass diese Situation eintreten kann, während Sie jetzt mit der Kamera in der Hand darauf warten.

Wenn Sie etwas mitteilen wollen - egal ob gesprochen, geschrieben oder fotografiert -, dann muss es den Rezipienten interessieren. Sie haben schon viele Erzählungen miterlebt. Manche sind in der Lage, aus ihren Erlebnissen interessante Elemente zu erkennen und pointiert wiederzugeben. Den Erzählungen dieser Leute wird dann gerne zugehört. Wer das nicht kann, erzählt entweder auswendig gelernte Witze - flüchtet sich also in Effekte - oder seine Erzählungen sind schlicht fad.

Sie müssen also aus dem gewaltigen Rauschen an Ereignissen, das Sie ständig umgibt, ein interessantes finden. Und von diesem interessanten Ereignis die Hauptsache. Und diese wiederum auf ein Bild konzentrieren. Sodass sich der interessante Teil des Ereignisses beim Betrachten des Bildes wieder entfaltet.

Also: Das Ereignis muss interessant sein. Das Detail aus dem Ereignis muss typisch sein. Der ins Bild gebrachte Augenblick und Ausschnitt aus der Wirklichkeit muss das typische Detail des Ereignisses in sich konzentrieren. Er darf nicht durch unnötige Inhalte »schwätzen«. Er darf nicht durch fehlende oder missverständliche Inhalte Rätsel aufgeben.

Verschwenden Sie nicht Ihre Zeit mit dem Nachmachen von modischen Effekten. Fotografieren Sie, wo immer Sie eine interessante Geschichte sehen. Die Kamera kann immer dabei sein. Und wenn es nur die Mini-Kamera in Ihrem Handy ist. Sie brauchen auch keine kräftige Stimme, wenn Sie etwas Interessantes zu erzählen haben.

In der Folge gehe ich vorerst ein auf den Witz der Fotografie als solche, dann was vom Betrachter des Bildes - intuitiv - wie »decodiert« wird und behandle den handwerklichen Umgang sowie die Technik; in der Hauptsache jene der Digitalkamera. Schließlich gibt es ein paar Tipps für nicht alltägliche Foto-Anlässe - für Ihr nicht alltägliches Können.

Essentielles zur Fotografie

Inhalt wichtiger als die Form

Mit einer teureren Kamera machen Sie keine besseren Bilder. Sie sind »nur« technisch besser, sie arbeitet zuverlässiger und ihre Handhabung ist komfortabler.

Ihr Augenmerk sollte also in erster Linie auf der Technik der Handhabung und erst in zweiter Linie auf der Technik des Geräts liegen. Im Zweifelsfall ist ein gekonnt gemachtes Bild, belichtet in einer Wegwerfkamera einem knallscharfen, nichts sagenden Bild erstellt mit dem Über-Drüber-Profi-Modell vorzuziehen.

Unser Ideal ist freilich das technisch und inhaltlich perfekte Resultat. Weil die bessere Technik letztlich durch bessere Möglichkeiten die inhaltliche Qualität verbessert.

Das, was teures, leistungsfähiges Gerät vor allem bietet ist hohe technische Qualität, ein größerer Funktionsumfang - und damit noch weitreichendere Gestaltungsmöglichkeiten - sowie hohe Zuverlässigkeit. Auch nicht unwesentlich ist es, dass es einfach Spaß macht, mit hochwertigem Gerät zu »arbeiten«.

Was die Objektivqualität anlangt, so macht sich diese übrigens auch bei verwischten und sogar unscharfen Aufnahmen bemerkbar. Ein besseres Objektiv bietet nicht nur eine höher mögliche Detailabbildung (Schärfe), sondern auch besser ausgewogenen Kontrast, gleichmäßige Helligkeitsverteilung, geringe Randverzerrung, geringe Farbfehler und eine annähernd kreisrunde Irisblende. Das bringt in jeder Situation bessere Resultate.

Das alles ist der Grund, wieso letztlich jeder ambitionierte Fotograf nach technisch optimaler Ausstattung trachtet. Dennoch: Das Hauptaugenmerk liegt auch hier auf dem inhaltlichen Ergebnis. Das ist es, was Spaß macht.

Im Zweifelsfall macht ja auch eine Aufführung der Wiener Philharmoniker, wiedergegeben auf einem Billig-Cassettenrecorder mehr Freude als die glasklare Wiedergabe der Aufführung einer mittelmäßigen Vorstadt-Combo über High-End-HiFi-Gerät.

Das wahre Lob für den Könner

Wie im »praktiker« vor allem im Zusammenhang mit Video bereits seit Jahren stets wiederholt: Das beste Lob ist, wenn jemand vom Inhalt Ihrer Werke gefesselt wird. Das ist dann nicht der Fall, wenn Ihnen gesagt wird, dass die Ausdruckqualität oder die Bildschärfe hervorragend wäre.

Billy Wilder hat einmal gesagt, wenn einer sagt, die Kameraführung bei einem Film sei gut, sei das ein sicheres Zeichen dafür, dass sie schlecht ist.

Die Mittel müssen so sehr perfekt eingesetzt werden, dass sie unsichtbar werden und ausschließlich der Vermittlung des Inhalts dienen.

Jede Ablenkung vom Inhalt zeigt, dass dem Betrachter so fad ist, dass er nach etwas sucht und dabei beispielsweise feststellt, dass das Bild scharf ist. Wenn er gefesselt ist, sieht er nur den Inhalt bzw. die Botschaft.

Genauso wie also der Oktaven-Umfang eines Musikstücks nichts über die Qualität des Werks aussagt, ist ein scharfes, detailreiches Bild mit brillanten Farben an sich noch keine schöpferische Leistung für den Fotografen.

Sinn der Fotografie

Die ursprüngliche Motivation für die Erfindung der Fotografie war, dass man sich dadurch das Zeichnen und Malen ersparen konnte. Die Camera obscura war ein Kasten mit einem Loch nach außen, das dem darin sitzenden Maler die Umgebung auf ein Blatt Papier projiziert hatte. Er musste diese Projektion dann einfach nur noch nachzeichnen. Später wurde dieser Vorgang insofern rationalisiert, als eine chemische Lösung erfunden wurde, die sich je nach Stärke des auftreffenden Lichts verändert. Das war der Beginn der chemischen Fotografie.

Damit wurde es dann aber auch in zunehmendem Maße uninteressant, die Wirklichkeit zu malen. Das erledigte die Fotografie bedeutend genauer und schneller. Maler und Zeichner hatten sich fortan mit Abstraktionen und phantastischen Themen beschäftigt.

Nun gibt es aber genügend Leute, die sich die Mühe des Malens nicht antun wollen (oder können) aber dennoch ihre Ideen in ein Bild umsetzen wollen. Daraus sind dann verschiedenste Techniken für Fotomontagen und Verfälschungen entstanden. Heute gibt es mit der Digital-Fotografie in Verbindung mit einem Computer ein geradezu grenzenloses Betätigungsfeld.

Vom Prinzip her ist die Digital-Fotografie dasselbe wie die Fotografie auf Filmmaterial: Es wird aufgenommen, was von einem Objektiv auf eine lichtempfindliche Fläche projiziert wird. Auch Manipulationen des projizierten Bildes können immer nur auf Basis dieser Projektion passieren. Diese kann die Schwarzweiß-Darstellung, die Farbverschiebung, eine Veränderung von Kontrast und Helligkeit sein. Es kann aber nicht etwas abgebildet werden, das in der Projektion nicht vorhanden war. Es kann nie etwas weggelassen werden, das in der Projektion vorhanden war.

Das ist der Unterschied zum Übergang von Malerei auf Fotografie. Dass die nachträgliche Manipulation des Bildes in der Digital-Fotografie leichter möglich ist, ändert nichts an dem Prinzip, nach dem das Bild in der Kamera entsteht.

Vorteile gegenüber der Digital-Fotografie hingegen bieten sich für den Einsatz der chemischen Fotografie in extrem heißer, extrem feuchter oder extrem kalter Umgebung; hierfür ist die Elektronik - jedenfalls derzeit - im Nachteil. Qualitativ sind die Ergebnisse der Mittel- und Großformat-Fotografie über Digitaltechnik derzeit nur durch extrem hohen Aufwand erreichbar. Letztlich wird die Fotografie auf chemisches Filmmaterial weitestgehend von der Fotografie auf elektronische Sensoren abgelöst werden.

Der Witz der Fotografie ist die Abbildung der Wirklichkeit: richtiges Licht, richtige Perspektive, richtiger Ausschnitt, richtiger Zeitpunkt. Und: Keine Manipulation, die über die Korrektur technischer Unzulänglichkeiten von Aufnahme-Material und -gerät hinausgeht.

Der Witz der Malerei ist heute mehr der abstrahierte oder phantastische Ausdruck. Beides ist bzw. kann künstlerisch wertvoll sein.

Künstlerisch wertvoll ist etwas dann, wenn es etwas vermitteln kann. Wenn also zu einem Bild erst eine langatmige Geschichte erzählt werden muss, damit es »verstanden« werden kann - also für sich allein stehend nichts mitteilt, auch nicht nachvollziehbar in einer anderen »Sprache« -, ist es einfach schlecht.

Wenn Sie also nicht wissen, was Sie mit einem Bild anfangen sollen, auf dem drei Striche auf weißer Leinwand sind und neben Ihnen ein paar Kunstverständige stehen, die mit Ehrfurcht den Ausführungen des Künstlers nach der tiefen Bedeutung seines Werkes folgen, machen Sie sich nichts daraus. (Zu diesem Thema empfehle ich Ihnen die Lektüre des Buches »Der betörende Glanz der Dummheit« von Esther Vilar.)

Multimedia vs. einfache Ausdrucksmittel

In diesem Zusammenhang auch kurz die Funktion multimedialer Ausdrucksformen: Multimediale Inhalte beschäftigen mehrere Sinne des Rezipienten, sie sind also besser zur - auch unterschwelligen - Beeinflussung geeignet, lassen aber weniger Spielraum für die Phantasie offen. Das Gehirn ist dann mehr mit der Verarbeitung der gebotenen Reize beschäftigt, braucht daher weniger Eigenarbeit leisten. Und tut es auch nicht, weshalb eine Beeinflussung besser funktionieren kann.

Komplexere Inhalte können in Wirklichkeit mit einfacheren Mitteln - nur Text, nur gesprochenes Wort, nur Bild - besser vermittelt werden. Besser deswegen, weil dem Rezipienten Freiräume offen gelassen werden und die Vorstellungskraft des Gehirns stimuliert wird. Diese bietet weitreichendere »Darstellungsformen« als - jedenfalls heute - mit der besten Multimedia-Technik möglich.

Der Einsatz einfacherer Mittel ist ungleich schwieriger, weil die Eindeutigkeit der Botschaft über mehrere Darstellungskanäle - bei Multimedia - leichter realisierbar ist. Ist die Botschaft nicht eindeutig, hat der Schaffende den Inhalt der Botschaft nicht mehr unter Kontrolle. Er könnte dem Rezipienten dann genauso gut irgendein Tapeten-Muster zeigen, in das dieser Beliebiges hineininterpretieren kann.

Die - zweifelhafte - Hohe Kunst des Einsatzes einfacher Mittel ist übrigens die absichtlich mehrdeutige Botschaft. Also eine Darstellung, von der manche Rezipienten manche Teile - weil sie damit nichts anfangen können - ignorieren oder manche Teile unterschiedlich interpretieren. Woraus sich insgesamt eine unterschiedliche oder - absichtlich - missverstandene Botschaft ergibt. Dieses Mittels bedienen sich absichtlich jene, die mit der Botschaft eine Meinung bilden wollen, die bei eindeutiger Darstellung vom Rezipienten nicht angenommen würde.

Banal, aber das Wichtigste

Es klingt so furchtbar banal, ist aber die Grundformel für gute Aufnahmen:

Auf dem Bild ist nur das, was Sie im Sucher sehen. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger.

Eine Fotografie ist immer nur ein Ausschnitt aus der Wirklichkeit. Damit die Fotografie eine Geschichte erzählen kann - was sie können muss -, muss so viel im Bild enthalten sein, dass alles Wichtige mitgeteilt werden kann.

Es darf aber umgekehrt nichts im Bild sein, was mit der eigentlichen Geschichte nichts zu tun hat. Dies würde nur von der Geschichte, die das Bild erzählen soll, ablenken und damit der Geschichte ihre Prägnanz nehmen.

Ein Bild muss ohne Ton und ohne Bewegung auskommen. Bewegung und auch Ton können - bzw. müssen, sofern wesentlich - im Bild symbolisiert werden. Bewegung beispielsweise durch Verwischen. Und Ton, indem die Tonquelle - eine schreiende Person oder ein Lautsprecher zu dem Leute hinschauen - im Bild ist.

Gehirn ergänzt Inhalte

Inhalte können auch angedeutet sein. Wenn in einem Bild beispielsweise ein Kürbis auf einem Fensterbrett steht, dann wird korrekt erkannt werden: Ein Kürbis steht auf dem Fensterbrett. Wenn jemand sich vor das Fenster stellt und man nur seinen Kopf sieht - mit Kinn am Fensterbrett aufliegend - dann sieht man einen Menschen, der vor dem Fenster steht. Man weiß: Der Kopf ist sichtbar, schaut lebendig aus, ergo muss ein ganzer Körper dran sein. Tatsächlich im Bild zu sehen ist ein Kopf auf dem Fensterbrett.

Implizite Inhalte - also nicht wirklich dargestellte - zählen genauso zum Inhalt eines Bildes. Der Rezipient gestaltet auf Basis des Dargestellten sozusagen einen Film. Er sieht das Davor, das Danach, das Rundherum und hört den Ton dazu.

Das Gehirn versucht immer aufgrund von bisherigen Erfahrungen alles so zu »sehen«, dass es mit diesen Erfahrungen in Einklang steht. Der Rezipient wird immer das erkennen, was er aufgrund seiner Erfahrungen und aufgrund seines Weltbildes erwartet, sofern die Darstellung nicht vollständig und / oder nicht eindeutig ist.

Eindeutigkeit ist aber nur sehr selten wirklich gegeben. Entweder weil der Rezipient etwas nicht kennt, oder weil etwas nicht normal ist, der Unterschied zum »Normal« aber nicht gezeigt wird. - Zwei Beispiele dafür:

Wir sehen einen Reiter auf einem Pferd. Jene - und das weiß man aus der Geschichte -, die noch nie ein Pferd gesehen hatten - also Reiter und Pferd nie getrennt gesehen hatten - könnten auch glauben, dass es sich um ein Lebewesen handelt.

Wir sehen ein Bild von einem Mann, der oben Hemd, Krawatte und Sakko trägt. Unten hat er aber keine dazupassende Hose und Schuhe an, sondern eine Badehose und ist barfuß. Ein Portrait bis in Bauchhöhe zeigt also einen Mann mit Anzug. Wenn dies der Fall wäre, würde dieser Ausschnitt für das Portrait genügen. Tatsächlich hat er aber unten eine Badehose an, was wohl niemand erwarten würde. Ein Bild, das wenigstens die Oberschenkel zeigt, würde korrekt sein. Wäre nun aber der Mann nicht barfuß, sondern hätte Fell-Stiefel an, dann wäre die Decodierung des Rezipienten wiederum falsch. Denn aufgrund der Badehose und der nackten Beine erwartet er entweder nackte Füße oder Badeschlapfen. - Der Betrachter denkt sich »entweder ist er barfuß oder trägt Badeschlapfen; wenn er auch zum Sakko passende Schuhe tragen würde, dann würden sie im Bild gezeigt werden«. Er schließt also diese - auch wahrscheinliche - Variante aus.

Ob der Mann Badeschlapfen trägt oder barfuß ist, ist »keine Nachricht wert«, Halbschuhe wären bzw. Fell-Stiefel sind sehr wohl bemerkenswert.

Wesentlich ist es also, dass der Rezipient eine Botschaft erhält, die er auch im Sinne des Fotografen versteht. Kunst ist per definitionem die Fähigkeit, eine Botschaft zu vermitteln.

Rate-Bilder wären eine eigene Kategorie. Sie müssen dann aber auch als solche ausgegeben werden.

Botschaft decodieren

Die Botschaft muss vom Rezipienten freilich »decodiert« werden können. Zwischen Menschen, die im selben Kulturkreis leben ist das kein Problem. Schwierig wird es bei fremden Kulturen. Beispielsweise Menschen-Darstellungen der alten Ägypter können nicht Eingeweihte verwirren: Der Kopf ist immer im Profil gemalt, Augen aber wie von vorne. Wenn man also weiß, dass in dieser Kultur alle Einzelelemente aus ihrer jeweils markantesten Perspektive dargestellt wurden - also Kopf von der Seite, Augen von vorne - kann man erst etwas damit anfangen.

Bei der Bildgestaltung gibt es einige Symbole. Diese haben ihre Ursache in unserer Kultur, in unseren Umgangsformen. Also dem, was wir gewohnt sind. Wenn sie durchbrochen werden, ist der Betrachter irritiert. Auch wenn er nicht weiß, warum. In der Regel weiß er es nicht.

Ein wesentlicher Punkt in jeder Mitteilungsform - so auch der Fotografie - ist es, diese Symbole nicht falsch oder irrtümlich einzusetzen. Ansonsten wird die gewünschte starke Aussage ausbleiben. Oder, noch schlimmer: Es entsteht eine falsche Aussage.

Zu einem wirkungsvollen Bild gehört es aber oft, dass Konventionen durchbrochen werden. Das erzeugt eine - dann erwünschte - Spannung im Bild. Diese Spannung muss gekonnt erzeugt werden. Die Grenze zwischen außergewöhnlich gutem und scheußlichem Ergebnis ist hier sehr schmal.

Wenn dies gekonnt eingesetzt wird, kann das Ergebnis besondere Aufmerksamkeit erwecken.

Symbolik aus Redewendungen ableiten

Eine sehr gute Hilfe, um die Aussage eines Motivs zu beurteilen - und letztlich anzuwenden - ist es, sich einen möglichen Text dazu als Kommentar einfallen zu lassen. Ein Beispiel dafür kann sein der bildliche Ausdruck von »Aufstieg« und »Abstieg«. Wenn also jemand gehend auf einer Treppe oder einem steilen Weg fotografiert wird. Dann wirkt eine Aufnahme vom Aufstieg positiv, hingegen eine Aufnahme vom Abstieg eher negativ. Beispielsweise gewiefte Politiker sind mit dieser Symbolik vertraut und vermeiden es daher, vor Fotografen eine Treppe hinunter zu steigen.

Um bei diesem Beispiel zu bleiben, überlegen Sie zur Analyse Folgendes: Eine Treppe, die Person steigt aufwärts. Es geht für die Person aufwärts. Das könnte also ein Text sein, zu dem das Bild als Illustration dienen könnte. Es ist daher logisch auch die Botschaft, die das Bild vermittelt. Es ist die Sprache, die mit dem Bild gesprochen wird.

Denken Sie vielleicht auch einmal kurz an Bilder in Zeitung oder Fernsehen, die Prominente beim Skifahren zeigen. Aus oben genannten Grund sieht man diese meist entweder stehen oder mit dem Lift fahren. Aber selten den Abhang hinunterfahren. Wobei übrigens eine Aufnahme am Schlepplift besondere Bedeutung haben könnte: »Sie / er lässt sich schleppen«.

Denken Sie bei Ihrer Analyse und späterer Anwendung der Symbolik also besonders immer auf Redewendungen mit auf bildhafte Darstellung übertragene verbale Ausdrucksweise. Wie eben bei »Aufstieg« und »Abstieg«.

Identifikation mit links unten

Der Rezipient identifiziert sich immer mit der linken unteren Ecke eines Bildes. Das gilt für die Anordnung der Schauspieler innerhalb eines Bühnenbilds genauso wie für ein Foto oder das Fernsehbild. Wenn also bei einem Interview der Interviewer - mit dem man sich als Zuschauer identifizieren soll - nicht links im Bild ist, dann irritiert das. Genau genommen muss der Interviewer nicht sichtbar sein, aber er sollte zumindest links - oder besser: links unten - im Bild vermutet werden können. Weil beispielsweise der Interviewte in diese Richtung schaut.

Wenn sich der Rezipient hingegen mit dem Interviewten identifizieren soll, wird der Interviewte links im Bild sein. Beobachten Sie das einfach einmal bei Fernseh-Interviews. Analysieren sie vielleicht auch, warum Sie sich manchmal mit dem Interviewten und nicht mit dem Interviewer identifizieren sollten.

Attraktivität von Farben

Bemerkenswert hinsichtlich des Einflusses der Farben auf die Bild-Aussage ist es beispielsweise, dass sich rote Elemente in den Vordergrund drängen und blaue Elemente in den Hintergrund. Macht man also ein Foto eines Menschen in blauer Kleidung vor rotem Hintergrund wird das Bild flach oder gar irritierend wirken. Fotografiert man aber einen rot dominierten Gegenstand vor einem blauen Hintergrund wird das Bild sehr plastisch wirken.

Dazu kommt es dann noch, dass Farben jeweils bestimmte Empfindungen auslösen. Da es bei einem nicht künstlich gestalteten Motiv nahezu unmöglich ist, sowohl Farbe, Elemente und deren Anordnung sowie das Licht in einer perfekten Kombination zu erwischen, erzielt man oft nur mit Schwarzweißbildern das gewünschte Resultat.

Der Mensch braucht die Farbe nicht unbedingt, um etwas als natürlich zu erkennen. Sein Gedächtnis und seine Träume sollen ja auch in Schwarzweiß sein.

Deswegen gibt es bei Zeugenaussagen die abenteuerlichsten Aussagen über die Farbe der Kleidung des Täters. Ob hell oder dunkel und die Form merkt man sich. Farbe müsste man bewusst klassifizieren um sie sich dann quasi verbal merken zu können. Im Wissen um diesen Umstand werden beispielsweise Bankangestellte für ihr Verhalten bei Banküberfällen geschult sich die Farben sozusagen als Formeln und Wörter bewusst einzuprägen, allein visuell wäre das nicht möglich.

Die Farbe im Bild hat also nur dann einen Sinn, wenn sie die Blickrichtung steuert und Empfindungen vermittelt, die für die Bildaussage wesentlich sind. Gemerkt wird sie - jedenfalls normalerweise - nicht.

Bedeutung von Farben kontextabhängig

Die Wahrnehmung von Farben - und daher die damit erzielte Aussage - ist nicht allgemein gültig. Das heißt, welche Mitteilung welche Farbe liefert. Das gilt individuell von Mensch zu Mensch und ist außerdem abhängig vom Kontext und auch dem kulturellen Hintergrund.

Zudem ist die Entschlüsselung einer Farbe abhängig von allgemeinen Erfahrungen eines Menschen überhaupt und auch dessen, was er knapp zuvor gesehen oder was er im Zusammenhang mit der Farbe sieht - außerhalb der eigentlichen Bildfläche.

Sehr anschaulich ist dies beispielsweise - im akustischen Bereich - der Sirenenton. Ein Mensch, der noch nie einen Krieg miterlebt hat assoziiert damit vielleicht Jahrmarkt, Vergnügen. Hingegen bei einem Menschen, der bereits bei Bombenangriffen um sein Leben gezittert hat wird damit Todesangst ausgelöst.

Qualität und Ausgewogenheit

Nicht immer ist die beste technische Qualität und die - hinsichtlich der Bildgestaltung - klassisch perfekte Ausgewogenheit in einem Bild erwünscht.

Es wird Ihnen schon aufgefallen sein: Auch die am besten verkauften Zeitungen sind nicht schön im klassischen Sinn. »Schön« sind die Kundenmagazine von Kreditkartenfirmen, der Pharma-Industrie und »Special-Interest-Magazine«, deren Hauptthema sogenannte Lifestyle-Produkte sind.

Es ist schlicht einfacher, etwas »schön« zu machen, als Faszination auszulösen. Für »schön« gibt es Regeln. Faszinieren muss man können. »Schön« ist immer auch Mode- und daher Geschmackssache. Faszination ist universell gültig, ist zeitlos.

Faszination, Begeisterung oder jede andere Stimmung hervorzurufen erfordert exzellente Könner, die eine Story - über welchen Weg auch immer - gut erzählen können. Und es erfordert die Vereinfachung der Stilmittel bei der Darstellung soweit dies nur möglich ist. Daher auch hier: Keinesfalls Effekte einsetzen. Ein Effekt ist immer nur beim ersten Mal neu.

Aufregung und Interesse erweckt kein Bild das aussieht wie aus dem Studio eines Werbe-Fotografen. Spontaneität wird vielmehr eher mit einem unausgewogenen, grobkörnigen Bild vermittelt. Den Punkt genau zu erwischen, dass ein Bild nicht mehr zu ausgewogen und daher »schön« und nicht mehr zu unausgewogen und daher »schlecht« ist, ist wohl die schwierigste Sache in der Fotografie. Und es ist der Unterschied ob ein Foto nichts sagend und schön oder fesselnd ist.

Verwischt, unscharf, grobkörnig sind Kennzeichen dafür, dass ein Bild unter schwierigen, hektischen Bedingungen entstanden ist. Wenn alles schön, klar und scharf ist, dann ist es ein Indiz dafür, dass das Bild in Ruhe aufgenommen werden konnte. Der Betrachter neigt daher eher dazu zu glauben, dass das Bild »gestellt« ist.

Auch die Bildqualität - Detailauflösung - ist nur in dem Maße wesentlich als sie zur Vermittlung des Inhalts notwendig ist. Schön scharf allein ist keine Botschaft, ist kein Inhalt, erzählt keine Geschichte.

Eigentlich logisch: Wenn das Bild zu sehr ausgewogen gestaltet ist, dann kann davon keine Spannung ausgehen. Die Spannung entsteht freilich nur, wenn diese Ausgewogenheit eben nicht gegeben ist, wenn das Bild also nicht zu »schön« ist.

Es ist eine Gratwanderung zwischen unbrauchbarem und faszinierendem Ergebnis, die viel Können erfordert. Ein grobkörniges oder verwischtes Bild ist also mit hoher Wahrscheinlichkeit eher ein schlechtes.

Wenn Sie gerade erst beginnen, sich mit der Fotografie auseinanderzusetzen, werden Sie damit jetzt vielleicht noch nicht viel anfangen können. Aber das Verstehen wird mit zunehmender Praxis schon kommen und Sie werden es dann richtig einzusetzen wissen.

Ein »zu schönes« Bild kann übrigens auch zu Entstellung führen. Stellen Sie dazu einmal das weltbekannte Bild aus Vietnam mit dem schreiend laufenden, nackten Mädchen vor. Knallscharf, detailreich würde das Bild den grausamen Augenblick geradezu ästhetisieren. Knallscharf, detailreich hätte dieses Bild nie die Welt aufgerüttelt. Ganz im Gegenteil. Ich meine sogar, dass das eine unzulässige Ästhetisierung darstellen würde. Bilder, wie sie beispielsweise typischerweise mit dem berühmten »World Press Award« jährlich ausgezeichnet werden, fallen in diese Kategorie. Leid und Krieg in wohl überlegter Bildkomposition und damit als Kunstform - wenngleich dies bereits in der Malerei üblich war - finde ich inakzeptabel, was aber freilich eine rein persönliche Meinung ist.

Aufnahme-Stil ist Accessoire der Zeit

Mode ist im Prinzip freilich nichts anderes, als dass einem oder einer Gruppe eine Änderung eingefallen ist und diese von der breiten Masse übernommen wird. Mode entsteht vor allem durch den Wunsch nach einer Veränderung, die sich aber immer - auch im übertragenen Sinn - auf die Oberfläche beschränkt.

Bei der Fotografie drückt sich das aus beispielsweise darin, welche Art von Licht bevorzugt wird. Also sehr weiches Licht für nahezu schattenfreie Darstellung, weiches Licht für duftige Schatten oder kleine Scheinwerferflächen für harte Schlagschatten. Der zweite Punkt ist, wie knapp oder weiträumig ein Motiv bevorzugt dargestellt wird. Vom angeschnittenen Detail bis zur Komplettübersicht.

Alle anderen modischen Gestaltungsvariationen sind schon Verfälschungen durch Farbtönungen und Verfälschungseffekte. Sie sind allesamt sehr kurzlebig, weil man sich an Effekten rasch satt sieht.

Die großen Fotografen, von denen man heute immer wieder noch Bilder in Ausstellungen und Magazinen sieht, haben es geschafft, wirkliche Kunstwerke zu schaffen, die stark genug sind um sich durch Modetrends nicht aushebeln zu lassen.

Die Stilrichtungen in der Fotografie verändern sich im Groben mit der Entwicklung der technischen Möglichkeiten und mit den Wertvorstellungen der Zeit.

So waren anfangs nur statische Aufnahmen möglich. Entsprechend starr schauen die Portraitierten aus den Fotos, die ruhig halten mussten wegen der erforderlich langen Belichtungszeit. Oder etwas später erschrocken mit weit aufgerissenen Augen beim Einsatz von Magnesium-Pulver als Beleuchtung. So besehen sind dies also keine Stilrichtungen, sondern die zwangsläufigen Ergebnisse, bedingt durch die Möglichkeiten. Später kamen Handkameras und damit »lebendige« Bilder, es kamen Tele- und Weitwinkel-Objektive, die vollkommen neue Sichtweisen ermöglicht hatten etc.

Eine Änderung im Foto-Geschmack in den letzten Jahren ist ebenfalls eine durch die technischen Möglichkeiten bedingte: Die Aufnahme ohne Schattenwurf und die Aufnahme eines »freigestellten« Objekts. Beides ist nämlich eine Kleinigkeit mit Bildbearbeitungs-Programmen, erfordert aber in der reinen Fotografie hohen Aufwand und Fertigkeit. Noch vor ein paar Jahren bemühte man sich, Schatten zu vermeiden. Heute sind Schatten sehr erwünscht.

Wenn ein Bild am Computer verändert wird, dann wird Schatten extra generiert, dann werden Spiegelungen generiert. Beides war zuvor eher als »Fehler« betrachtet worden. Heute ist es modern. Einfach, weil das Bild dadurch »echter« ausschaut.

Der Wandel der Zeit ist besonders stark erkennbar in der Portrait-Fotografie. Früher wurden beispielsweise führende Persönlichkeiten sehr streng dargestellt, heute tarnen sich sogar schlimme Diktatoren durch betont lässige Kleidung. Die Form der Darstellung gehört ebenso zur Zeit wie die Kleidung. Sie zeigt wie die Menschen gesehen werden bzw. gesehen werden wollen. Es ist daher etwas lachhaft, jemanden heute im Stil alter Zeit zu portraitieren. Das ist Kitsch.

Das heißt, dass auch ein in altmodischem Stil aufgenommenes Portrait, das Hundert Jahre alt ist, durchaus nicht weniger interessant ist, als eines von heute im Stil, das die Wertvorstellungen von heute vermittelt. In diesem Fall ist die altmodische Darstellung ein Teil der Botschaft.

Die geänderte Darstellung zu den verschiedenen Zeiten ergibt sich letztlich ganz von selbst. Früher wurde jemand vielleicht mit seinem Privatsekretär fotografiert - er groß und mächtig, der Privatsekretär furchtsam aufschauend. Heute schaut das für den großen Industriekapitän nicht mehr passend aus. Das moderne Pendant dazu wäre ein Bild von ihm, sitzend im Flugzeug und einem aufgeklappten Computer vor sich. Und er sitzt gerade zurückgelehnt, sinnierend aus dem Fenster schauend. Mit - was sich allerdings über die Zeiten hinweg nicht ändert - zielstrebigem, entschlossenem Blick.

Machen Sie einfach Fotos, so wie Sie die Wirklichkeit sehen. Lassen Sie sich aber nicht durch irgendwelche künstlichen Modeströmungen mitreißen, die nichts anderes als die Veränderung der Oberfläche sind. Das wären nämlich sonst jene Fotos, die Ihnen schon ein paar Jahre später nicht mehr gefallen werden.

Entbehrlich sind Fotos, die es ohne eine Modeströmung nie gegeben hätte, weil sie keine Geschichte erzählen, sondern nur mit großem Getöse vorgetragenes visuelles Geschwätz sind.

Effekte vermeiden

Für jede Form der Gestaltung gibt es Verfälschungs-Effekte, die das Werk auf den ersten Blick besser wirken lassen als es ist. Aber nur auf den ersten Blick. Auch hier gilt:

Mit Verfälschungs-Effekten kann man ein schlechtes Foto erträglich machen. Man kann damit ein mittelmäßiges Foto etwas besser machen. Man kann damit aber ein exzellentes Foto nur schlechter machen.

Exzellent ist eine Fotografie dann, wenn die Darstellung einfach ist und dadurch der wirkliche Inhalt des Bildes in voller Kraft hervortreten kann. Durch den Einsatz von Effekten wird dieser immer - mehr oder weniger - zugedeckt. Wenn kein Inhalt vorhanden ist, ist der Effekt die Hauptsache und es handelt sich dann bei dem Foto in Wirklichkeit um die Demo von Effektfiltern oder Effektfunktionen des Bildbearbeitungs-Programms oder der Kamera. Abgesehen vom fehlenden Inhalt eines Effekts erhöht dieser die Komplexität eines Bildes. Es kann allein deswegen nicht mehr klar und einfach sein.

Unser Ziel sollte das ausdrucksstarke Bild sein. Und dafür ist jede Art von Verfälschungs-Effekten in der Regel kontraproduktiv. Jeder Effekt lenkt vom Inhalt ab. Es gibt nur ganz seltene Ausnahmen von dieser Regel.

Wohl bei allen Techniken, mit denen man sich beschäftigt, neigt man anfangs zum Einsatz von Effekten. Effekte machen Eindruck und man kann damit das noch mangelhafte Können etwas überdecken. Das ist ganz normal so. Versuchen Sie aber dennoch, von Anfang an ohne den Einsatz von Verfälschungs-Effekten - die Kamera und Bildbearbeitungs-Programm bieten - auszukommen.

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