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EDITORIAL

aus Heft Nr. 1/2000


Das GSM-Handy ist derzeit eine Scheibe - vielleicht.

Trotz großer Hochachtung vor der Wissenschaft und ihren Repräsentanten: Sie hat nicht immer recht.

So wurde einmal von Ärzten vor dem enormen Tempo einer Eisenbahn gewarnt, weil die Beschleunigung auf 40 km/h wohl der menschliche Organismus nicht aushalten würde.

Es ist auch noch nicht so lange her, dass die gesundheitliche Schädigung durch Tabakrauchen nachgewiesen werden kann.

Oder sie hatte Recht: Die Erde ist keine Scheibe. Das hatte damals der katholischen Kirche überhaupt nicht in ihr "Marketing-Konzept" gepasst. Die Erde ist eine Scheibe, behauptete der mächtige "Multi". Und sie blieb es auch so lange, bis die Beweise dagegen einfach nicht mehr zurückzuhalten waren.

Die neue Angst heißt "Elektrosmog". Protestiert wird gegen die allgegenwärtige Durchflutung mit elektromagnetischen Feldern. Beginnend vom Computer-Monitor bis zum GSM-Sendemast.

Es gibt massenhaft Gutachten mit dem Ergebnis, dass das alles eingebildete Hysterie sei.

Wie schaut es also in der Praxis aus: Einerseits gibt es Menschen, die selbst auf die mitunter kaum messbaren elektromagnetischen Felder von Wasseradern mit Krankheitszuständen reagieren. Andererseits gibt es - das ist die überwiegende Mehrzahl - Menschen, denen es nichts ausmacht bzw. ausmachen würde, knapp neben einem Rundfunk-Sender zu leben, der mitunter Megawatt an elektromagnetischer Energie aussendet.

Elektrizitätsleitungen, Fernsehsender und auch herkömmliche Funkgeräte haben eines gemeinsam: Sie senden analoge Signale, die wir schon seit etlichen Jahrzehnten kennen. Und damit auch deren - in der Regel - unbedeutende Wirkung auf den Organismus. Mit der Digitaltechnik kommen auch Funksignale mit ganz anderen Eigenheiten. Deren Wirkung kennen wir noch nicht wirklich.

Digitale Funkverbindungen gibt es beispielsweise bei GSM-Handys, moderneren Schnurlos-Telefonen und meist auch dort, wo Signale zwischen elektronischen Komponenten via HF ausgetauscht werden. Weil Kabel doch sehr unpraktisch sind, werden derer immer mehr. Allein, wir kennen die Wirkung der von ihnen erzeugten Felder noch nicht.

Die bedeutendste Verwendung von digitalen Funksignalen gibt es bei den digitalen Mobiltelefonnetzen wie GSM und den Schnurlostelefonen. Wer ein GSM-Handy hat, hat sich das ausgesucht, wer ein Schnurlostelefon hat, auch. Nicht entkommt man den GSM-Basisstationen. Diese haben eine Leistung in der Größenordnung von ca. 60 bis 100 Watt. Mit der Leistung einer Glühbirne lässt sich das zwar freilich nicht vergleichen, aber die Leistung, die einen letztlich in der Regel erreicht, liegt im Pico-Watt-Bereich. Und ist damit vielleicht wirklich unbedenklich.

Anders schaut es mit den digitalen Schnurlostelefonen aus. Diese haben zwar nur eine Abstrahlleistung von ca. 10 Milliwatt, aber diese innerhalb eines geschlossenen Raums. Wer empfindlich ist, den könnte das durchaus stören.

Erst recht kräftig geht es bei GSM-Handys zu. Da gibt es Sendeleistungen bis zu zwei Watt, von denen ein Teil gerade schön aufs Gehirn zielt. Miesmacher meinen, das könnte die Bildung eines Gehirntumors begünstigen. Untersuchungen zeigen, dass sich das nicht nachweisen lässt.

Auch gesetzlich vorgeschriebene Grenzwerte für Strahlungen, Gifte oder was auch immer unseren Körper beeinträchtigen könnte, sind freilich jeweils eine Richtlinie für die Hersteller der jeweiligen Produkte, aber noch kein Garant dafür, dass diese Grenzwerte korrekt festgelegt sind. So wurden Menschen während und nach dem Zweiten Weltkrieg - gegen Ungeziefer - kräftig mit dem Gift DDT eingepudert. Heute ist DDT längst verboten und als hochgiftig eingestuft. Nicht nur für Insekten.

Nun abgesehen davon, dass die GSM-Netzbetreiber heute wohl mehr Kunden haben als die Kirche zur Zeit der Erde-ist-eine-Scheibe-Wahrheit, ist es vielleicht nicht so toll, mit aller Gewalt die Wahrheit an sich selbst auszutesten.

Und damit haben wir ein Problem. Einerseits sind freilich diese ganzen schönen Sachen mit den Funksignalen eine feine Sache. Andererseits ist es vielleicht besser derzeit nicht ständig, aber dafür möglicherweise ein paar Jahre mehr erreichbar zu sein.

Und auch das ist falsch: Dass die elektromagnetischen Felder von Handys schädlich wären, ist derzeit nicht erwiesen. Aber auch: Dass die elektromagnetischen Felder von Handys unschädlich sind, ist derzeit nicht erwiesen.

Uns kann man in Wirklichkeit viel erzählen. Schlimmstenfalls wechseln höhere Geldbeträge als Schmerzensgeld den Besitzer, bestenfalls beruft man sich auf das gerade passende Gutachten der Wissenschaft. Die Auswahl ist ja groß genug.

Nein, ich kann Ihnen keine ultimative Empfehlung geben. Nur jene: Sinnvoll einsetzen und damit die Technologie optimal nutzen. Um für sich das Optimum aus den Möglichkeiten der mobilen Kommunikation herauszuholen, muss das gute Stück ja nicht ständig eingeschaltet sein. Eigentlich ist doch eher das Gegenteil der Fall - oder?

Bis zum nächsten Mal,

Ihr

Felix Wessely


PS.: Letztlich hat die Wissenschaft freilich immer recht. Und zwar dann, wenn ein Gebiet ausreichend erforscht ist. Das Problem ist nur, man weiß nicht, wann das der Fall ist. Solange es zu viele gegensätzliche Erkenntnisse gibt, scheint es jedenfalls naheliegend, dass dieser Punkt noch nicht erreicht ist. Aus Respekt vor der Intelligenz unserer Leser verzichten wir daher auf einschlägige Sensationsmeldungen in die eine oder andere Richtung.


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